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Berlin felett az ég

Berlin felett az ég

Der Engel

2021. december 28. - pomperyberlin

 

Das persönliche Erscheinen des Erlösers in jedem Haushalt – während er de facto in der Krippe von Bethlehem lag – erschien immer schon unglaubwürdig, ihre Eltern haben es mit dieser Story  nicht einmal versucht. Aber jeder Mensch hat einen Schutzengel, der allein über ihn wacht. Der Einfachheit halber bringt also das Engelchen den Weihnachtsbaum und die Geschenke, im Namen des Christkindes. Das klang plausibel.
– Natürlich nur, wenn Du es verdient hast! – erklärten die Erwachsenen.

Nach ihrer Erinnerung läutete diese Ermahnung, die später noch mehrfach wiederholt wurde, den Beginn der aufregenden und erwartungsvollen Weihnachtszeit ein.

Der Advent war kein Merkmal des Sozialismus, und als ob die als Kind hätte sie noch nie etwas von den vier Sonntagen und den Kerzen gehört, die ihn markierten. Vielmehr gab es  den silbernen und den goldenen Sonntag vor Heiligabend, als Vater und Mutter mit geheimnisvollem Lächeln das Haus verließen, um den Engel zu treffen. Ihn gab es tatsächlich: Er hatte langes blondes Haar, ein weites weißes Kleid, das bis zum Boden reichte, riesige Flügel, die mit Glitter glitzerten. Man sollte sich nicht nur generell gut benehmen – es war direkt verboten, den Engel auszuspähen!
–  Denn falls sie dies täte und er dies bemerkte, dann würde er aus dem Fenster fliegen, husch, und es würde kein Weihnachtsfest geben!

Zsuzsa hatte aber den Engel sogar zweimal gesehen! Das erste Mal war an einem Abend Anfang Dezember, als sie die Schienen unter der Straßenbahn knarren hörte, dann gab es einen Knall und sie helles Licht sah, wie ein Blitz. Oben erschien der Engel und näherte sich mit hoher Geschwindigkeit dem Fenster des Kinderzimmers. Sie hörte das Rascheln der Flügel und sah den Engel, der durch das mittlere Fenster des Erkers,  hereinspähte. Dann drehte er sich um, und wie er aus dem Nichts erschien, flog er mit einem gewaltigen Flügelschlag davon. Das kleine Mädchen war von der Aufregung gepackt.

– Habe ich dir nicht gesagt, dass du immer brav sein musst? Er kanns dich jederzeit überprüfen! - hat Großmutter sie gewarnt.

Das nächste Zeugnis über die Existenz des Engels fand an einem Abend vor den Feiertagen statt. In der Wohnung waren alle Türen im Durchgangszimmer aus Milchglas. Sie waren nicht durchsichtig, man bekam nur Schatten zu sehen. Zsuzsa wollte gerade ins Bett gehen. Auf dem Weg vom Flur zum Kinderzimmer blieb sie in der Halle stehen. Dieser Raum war immer dunkel, nicht nur, weil er fensterlos war, sondern auch, weil die Lampe auf Vaters Schreibtisch nur eine 40W Glühbirne hatte, deren Licht durch den seltsamen Rosshaarschirm aus der Vorkriegszeit mit gewellter Oberfläche gedämpft wurde. Die Esszimmertür war zufällig offen, nur fünf oder sechs Zentimeter breit. Sie wusste, dass es verboten war, aber die Neugierde übermannte sie und sie spähte hinein. Nein, sie trat nicht näher, sie konnte nur so viel sehen, wie man durch den schmalen Spalt im schummrigen Licht aus zwei-drei Metern Entfernung erkennen konnte. Der Engel stand vor dem Esstisch, Seite an Seite mit ihr, in weißem Gewand bis zu den Füßen, und gefalteten Flügeln. Vermutlich war er dabei, ein Geschenk einzupacken, aber in den wenigen Sekunden, die sie brauchte, um den dunklen Raum zu durchqueren, hatte sie keine Einzelheiten erkennen können. Sie hatte großes Glück, denn der Engel war auf seine Arbeit konzentriert und bemerkte sie nicht. Er flog also nicht weg, und es gab auch in diesem Jahr Weihnachten.

Als sie noch ein Kleinkind war, stand der Weihnachtsbaum im Wohnzimmer auf dem Klavier, später auf dem Boden vor dem Fenster. Die meisten Teile vom Baumschmuck stammten aus der Vorkriegszeit. Zsuzsa hatte einige Lieblingsstücke, wie zum Beispiel der kleine Vogel und die runden Glaskugel, die außen rot und innen weiß waren. In den 1960er Jahren ersetzte die Familie die zerbrochenen Teile durch andere aus Plastik. Zsuzsa konnte nach Jahrzehnten immer noch erkennen, welche noch original waren und welche sie im Laufe der Jahre selbst gekauft hat. In der Sechzigern wurde das brennbare Engelshaar durch eine silberne Kette ersetzt, die sie aus Alufolie faltete – ein Element, das auch heute noch verwendet wird.

Zu stalinistischen Zeiten waren die Samstage und sogar der Heiligabend Arbeitstage. Ihre Eltern schmückten den Weihnachtsbaum nach dem Zubettgehen der Kinder, meist bereits am 23. Dezember, und stellten ihn vorübergehend in die Mädchenkammer, die sie abschlossen.

Am Heiligabend, und überhaupt, im ganzen Weihnachtsfest war das Warten am besten.  Gegen fünf Uhr nachmittags wurde sie festlich angezogen und die ganze Familie versammelte sich im Kinderzimmer. Während alle langsam eintrudelten, kletterte Zsuzsa auf den Heizkörper am rechten Fenster des Erkers, um zu gucken, in welchen der gegenüberliegenden Wohnungen das Christkind bereits gewesen ist. Später beobachteten sie zusammen mit ihrem jüngeren Bruder den Engelbetrieb auf der Mártírok Straße.

Auch Valcsika, Mamikas beste Freundin, die im Laufe der Jahre zum Familienmitglied avancierte, feierte jedes Jahr mit ihnen. Die auffallend hübsche, schwarzhaarige junge Frau trug elegante Kostüme, Schmuck mit dezenten Brillanten und war durch die Duftwolke von Chanel No.5 umgeben. Am Heiligabend, als sie fröhlich ankam, rannte Zsuzsa zur Tür. Vali beugte sich zu ihr herunter und küsste sie. Das Mädchen atmete den seltenen, vertrauten Duft ein: Das war für sie das sichere Anfangszeichen vom Weihnachtsfest! 

Großmutter hatte eine Tischdecke mit Ajour-Muster auf den Glastisch der Sitzgarnitur mit Weidengeflecht gelegt. Zum Warten vor der Bescherung legte sie zwei oder drei Sorten des Weihnachtsgebäcks auf einem für diesen Anlass polierten Silbertablett und schob es auf dem Servierwagen ins Kinderzimmer. Hierzu tranken die Kinder Tee, die Erwachsenen Tee und Wermut.

Vater stand nach einer Weile auf, um nachzusehen, wie weit der Engel im benachbarten Salon mit den Vorbereitungen vorangekommen war. Kurz danach kam er zurück, sagte, dass alles fast fertig sei, zündete sich eine Zigarette an und fragte Zsuzsa, wie sie sich während des Jahres verhalten habe. Der Tee, die Zigarette, das Vater-Tochter-Gespräch, das zu der obligatorischen Zeremonie gehörte, war jedes Jahr dasselbe.

–  Ich war das ganze Jahr über brav, ein richtiges Musterkind!  –  sagte sie mit ernster Miene und voller Überzeugung.
–  Na, dann ist ja alles in Ordnung. – sagte Vater zufrieden und ging zurück in den Salon, um bei den letzten Handgriffen zu helfen.

Zsuzsa hasste es, wenn die Erwachsenen noch weiterplauderten. Sie hatte Angst, dadurch den leisen Klang der Glocke zu verpassen. Aber sie hat es am Ende immer geschafft. Jedes Jahr hatte sie gehofft, falls sie, wenn sie sich nur beeilte, den Engel – oder zumindest einen seiner Flügel – von hinten durch das Fenster fliegend sehen zu können, aber er war immer schneller als sie.

Aber der atemberaubend schöne Weihnachtsbaum, die brennenden Wachskerzen und daneben Vater mit den Wunderkerzen in der Hand machten ihre Enttäuschung wett. (Interessanterweise hat sie nie einen Zusammenhang zwischen dem Anzünden der Kerzen und der Anwesenheit seines Vaters vermutet.)

Die Familie bewunderte den Baum ein paar Minuten lang, und dann folgte auf Großmutters Zeichen das gemeinsame Vaterunser und noch das Ave Maria. Sie warteten, bis alle Wunderkerzen verbraucht waren, und wünschten sich dann gegenseitig ein frohes Weihnachtsfest. Erst dann durfte das elektrische Licht eingeschaltet und die Geschenke angeschaut werden. (Zugegeben, Zsuzsa hat schon während der Gebete die Gegenstände unter dem Baum gesichtet.)

Kleine Karten gaben Hinweise, wer wo zu suchen hat. Mamika nutzte ihren Beruf für dieses einzige Mal privat: Als technische Zeichnerin fertigte sie mit Hilfe der Schablone für jedes Familienmitglied elegante, schwarz gerahmte Karten im Format 4×6 cm an, und verzierte sie die mit einem winzigen Tannenzweig jeweils links neben dem Namen. Die Kärtchen wurden dann bis zum nächsten Fest aufbewahrt.

(Zusammen mit dem Tannenbaumschmuck und dem grün gestrichenen gusseisernen Dreispitz-sockel wurden auch diese Weihnachtsrequisiten jedes Jahr wiederverwendet. Mit der Heirat von Zsuzsa und der Geburt ihrer Tochter wurde das Set der Namenskarten jeweils um eine erweitert. Schließlich überlebten sie Mamika.) 

Zsuzsa war bereits acht Jahre alt und überdurchschnittlich reif, als ihre Mutter sie zur Seite nahm:
– Ich erzähle dir jetzt ehrlich und ganz im Vertrauen, dass die Geschichte vom Engel für kleine Kinder erfunden wurde. Die Wahrheit ist, dass die Eltern den Baum selbst schmücken und die Geschenke einkaufen. Du bist schon ein großes Mädchen, also wird es Zeit, dass du das weißt. Und als fast Erwachsene kannst Du dich ab jetzt am Schmücken der Tanne beteiligen.

Sie freute sich wie ein Stint! Am 23. Dezember, nach dem Abendessen, wurde ihr kleiner Bruder ins Bett gebracht. Die erweiterte Arbeitsgruppe schmückte den Weihnachtsbaum im Speisezimmer. Sie hängten die szaloncukor (Fondant, obligatorischer Weihnachtsbaumschmuck in Ungarn), die Baiser-s, den gläsernen Baumschmuck und schließlich die Kerzen auf die Äste. Zsuzsa fühlte sich furchtbar erwachsen und war stolz auf ihre neue und wichtige Rolle. Vater erklärte, wie man die Dekoration gleichmäßig verteilt, so dass es von auf allen Seiten gleichmäßig aussieht. Als sie fertig waren, trug Vater den Baum geschickt durch mehrere Türen in die Mädchenkammer,  ohne dabei etwas fallen zu lassen. Dann gingen alle ins Bett.

Der Heiligabend kam. Alles war wie jedes Jahr: Valis Duftwolke, die Vorfreude, das Warten, Kuchen, Kerzenschein, usw. Diesmal hatte Zsuzsa ein selten reiches "Christkind". Und ihr wurde sogar gesteckt, dass es für sie noch ein weiteres Geschenk gab, schaue sie sich nur gut um! Auch am Weihnachtsbaum. Und tatsächlich, da hing ein hübscher kleiner Karton in Form eines Tannenbaums, der die erste Armbanduhr ihres Lebens enthielt. Sie war so glücklich!

Und doch beim Schlafengehen spürte sie eine unerklärliche, große Enttäuschung. Nicht wegen der Menge oder des Wertes der Geschenke, denn es war das großzügigste Weihnachtsfest, das sie je erlebt hatte. Aber etwas fehlte. Sie konnte es nicht ausdrücken, aber dieser Heiligabend erschien ihr einfach leer, im Vergleich zu allen vorherigen. Sie fragte sich fieberhaft, was sich verändert hatte, bis sie schließlich feststellte, dass die Erwachsenen während des Wartens dieses Mal keinen Tee, sondern Kaffee getrunken hatten.

Von da an gingen alle Heiligabende mit der gleichen Enttäuschung einher: Es war einfach nicht mehr so, wie früher. Im folgenden Jahr lag es daran, dass sie die Zimmer tauschten: Ausnahmsweise warteten sie im Salon und der Weihnachtsbaum stand im Kinderzimmer. Ein anderes Mal war Vali abwesend. Dann kam Kiefer in Mode, die im Gegensatz zur Fichte nicht nadelt, aber kein echter Weihnachtsbaum ist. Und dann war die durch Orange veredelte Tanne, die nach Apfelsine roch, ... Und so ging es jahrelang: Auf die nostalgische Sehnsucht folgte die Enttäuschung. Und Zsuzsa fand immer etwas, das von der alten Choreografie abwich und worauf sie dann das Gefühl des Mangels zurückführen konnte.

Sie muss mindestens sechzehn Jahre alt gewesen sein, als sie endlich begriff, dass es leider endgültig so, das heisst, enttäuschend bleibt. Sie verstand endlich, dass es nicht der Kaffee oder der Zimmerwechsel war: Die Erwartung des Wunders machte den Heiligabend so erhaben. Das Wunder ist ein Geheimnis, ein Mysterium. Mit dem Engel verschwand der Zauber im Alter von acht Jahren, und Weihnachten wird wohl nie mehr so sein, wie zu ihrer Kindheit. Es sei denn, der Engel kommt irgendwann zu ihrem eigenen Kind. 

Deshalb war sie unbeschreiblich sauer, als sie viele Jahre später über das Unvermeidliche stolperte: Das deutsche Schulbuch teilte den Schülern der zweiten Klasse offiziell und lapidar mit, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Der wird meistens vom Großvater oder einem anderen männlichen Verwandten gespielt –  ein Theater also, das Erwachsene spielen, um den Kindern Freude zu bereiten. Zsuzsa konnte kaum Worte finden, um ihre Empörung auszudrücken. "Wie kommen sie dazu?! Wissen denn die Fachleute nicht, dass jedes Kind anders und zum unterschiedlichen Zeitpunkt an die "Wahrheit" heranreift?"

Sie hatten Glück. Linda nahm die Enthüllung des Weihnachtsmannes zur Kenntnis, aber es ließ sie kalt:
– Hier gibt es zwar keinen Weihnachtsmann, aber wir sind ja sowieso in Budapest, wo der Engel kommt, und den gibt es! – sagte das Mädchen trotzig, und damit war die Angelegenheit erledigt.

Zsuzsas Tochter war bereits in der vierten Klasse, als sie begann, am Thema herumzustochern.
–  Mamika, sag mir ganz ehrlich: Gibt es den Engel tatsächlich oder nicht? Ist es sicher, dass es ihn gibt? Als du ein Kind warst, du hast ihn doch gesehen, nicht wahr?

Die Frage war früher oder später zu erwarten gewesen, aber sie überraschte Zsuzsa dennoch. Im Jahr zuvor war Linda erfinderisch raffiniert, als es darum ging, ihren "Nikolaus" dazu zu bringen, etwas auch in die Schuhe der Eltern zu stecken. So nahm Zsuzsa an, dass das Kind den Dreh mit dem Engel bereits selbst herausgefunden hatte. Offensichtlich doch nicht. Genauer gesagt vermutlich schon, es will jedoch immer noch an Wunder festhalten.

Nach einigem Nachdenken umarmte Zsuzsa das Mädchen:
– Wenn Du fest daran glaubst, dass Du einen persönlichen Schutzengel hast, der dich immer beschützt, dann gibt es ihn.

Dies war eine zufriedenstellende und anscheinend überzeugende Antwort.

Jahre, gar Jahrzehnte vergingen, vieles passierte, aber die Engelsfrage wurde offiziell nie geklärt.

Seit Jahren schon verbringt die Familie die Weihnachtsfeiertage in Berlin. Anfangs kam auch noch Vali und auch hier wurde die Budapester Tradition fortgesetzt – unsichtbarer Engel, Warten bei Kaffee und Tee, Glöckchengeläut, usw. Sogar der durch-und-durch deutsche Schwiegersohn hat dies bereitwillig akzeptiert. Es besteht ein stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass das Schmücken des Weihnachtsbaumes weiterhin die Aufgabe des Engels ist.

Dieses Jahr warten alle gespannt darauf, dass der zweijährigen Johann, wenn die Glöckchen läuten, hereinläuft und mit großen, glänzenden Augen vor dem Baum stehen bleibt – den das Engelchen im Auftrag des Jesuskind gebracht hat.

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